16. Reisegeschwindigkeit

In den 1,5h in und um Berlin konnte er wenigstens auf flux.fm sehr coole Musik hören und tippte sich ein paar Songs als SMS-Entwurf in sein damaliges Handy, um sie später bei Kazaa runterzuladen. „Let Me in – Beatsteaks“ war einer davon. Über die verbaute Bose-Anlage im Auto knallte der besonders gut.

Während er noch so durch die Stadt fuhr, bemerkte er immer wieder mal Blicke von anderen Autofahrern, die an ihm vorbeifuhren oder neben ihm an der Ampel zum Stehen kamen, dann neugierig in das Auto guckten und wahrscheinlich jemand anderen als ihn hinterm Steuer erwarteten. Die überraschten Gesichter waren ihm ein inneres Blumenpflücken. Aber vielleicht war den Leuten das auch scheißegal und er bildete sich ein, dass sie überrascht seien. Obwohl, es war immer so. Egal wann und wo man mit den „dicken“ Autos vom Geschäftsführer alleine vorfuhr, sobald man ausstieg, wurde man angeglotzt und gemustert. Wen erwarteten die? Den Bundeskanzler? Michael Jackson?

Mit diesen Gedanken fuhr er dann endlich auf die Autobahn und fuhr für eine ganze Weile nur geradeaus. An einer Stelle der Strecke war auf einmal so gut wie niemand vor oder hinter ihm. Er erkannte nur in der Ferne ein paar kleine rote Lichter und im Rückspiegel ein paar kleine gelbe. Auf einmal überkam es ihn. „Jetzt oder nie“ dachte er. Bis 240 km/h hatte er das Auto bei Überholvorgängen schonmal gebracht. Also innerorts (Spaß). Er hatte aber noch nie herausgefunden, was im Tacho ganz unten steht.

Ruud wischte sich nochmal die Hände an seinen Oberschenkeln ab, guckte nochmal in den Rückspiegel, trat das Gaspedal ruckartig durch (Kickdown), das Automatikgetriebe schaltete nochmal eine Stufe runter, der Motor heulte auf, die Auspuffrohre blubberten und die mehr als 400 PS drückten Ruud während des brachialen Beschleunigungsvorgangs in den Fahrersitz und die Brandenburgische Abendlandschaft zischte in Sekunden an ihm vorbei. Adrenalin schoss in ihm hoch. Konzentriert hielt er das Lenkrad in beiden Händen und schielte auf den Tacho:

„2-8-0! WTF?!“

Nach drei Sekunden Höchstgeschwindigkeit (Aufgabe: Wie viel Strecke hat Ruud in den drei Sekunden zurückgelegt, wenn die Höchstgeschwindigkeit 280 km/h beträgt?) bremste er das Auto auf angenehme Reisegeschwindigkeit ab und hatte für sich herausgefunden, dass so schnell zu fahren viel zu anstrengend ist.

Er steuerte die nächste Autobahnraststätte an. Kurz nochmal ein paar Liter Super-Duper-Kraftstoff reinkippen, Pipi machen und was zum Snacken und Trinken kaufen. Als er zum Auto zurück kam, schlawenzelten zwei Leute um das Auto herum. Ruud hatte schon ein „Ey, nicht am Lack anfassen“ auf den Lippen (als ob) und drückte auf die Fernbedienung.

„Is this your car?“ fragte einer der beiden mit starkem amerikanischem Akzent.

„No. It’s my boss‘ car“ (und das soll es auch bleiben) antwortete Ruud.

„Wow. What an amazing car. And so much space inside. Can we take some pictures?“ wollte der andere wissen.

Mittlerweile hatte Ruud herausgefunden, dass es amerikanische Soldaten waren. So deutete er zumindest das Kennzeichen an ihrem aufgemotzten AMC Pacer. Sie bedankten sich artig und Ruud trat den Rest der Strecke an, den er mit Tempomat unaufgeregt zu Ende fuhr.

Nach über sechs Stunden im Auto am Wohnsitz des Geschäftsführers angekommen, öffnete er über die Fernbedienungen das Tor zur Einfahrt sowie eine Garage, fuhr das Auto in die Garage tauschte sich noch kurz mit dem Geschäftsführer aus und verabschiedete sich ins Wochenende.

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