21. Büroclown

Zurück zum Tresen im Sekretariat der Geschäftsleitung. Dort war zwischenzeitlich ein Platz frei geworden und übergangsweise von einer lieben Azubikollegin besetzt worden, die bald ein Studium antreten sollte.

Sinalco, dessen Assistenz es nachzubesetzen galt, hatte die Idee, dass Ruud das machen könnte. So würde er auch mehr vom operativen Logistikgeschäft und von Prozessen mitbekommen und könnte hier und da mal reinschnuppern. Der Projektverantwortliche in der Lademittelverwaltung kommentierte das mit den Worten „Jetzt hat er’s geschafft, Herr Assistent!“ und grinste dabei.

Was soll er geschafft haben? Von der Etage her ging es zumindest schon einmal nicht höher. Von der Tätigkeit? Das war eine Blackbox. Ruud hatte nur eine grobe Vorstellung davon, was er die nächsten 7,5 Jahre machen würde. Und das es 7,5 Jahre werden würden, hatte er zu dem Zeitpunkt auch nicht auf dem Zettel.

So saß er erst einmal an teuren Echtholzmöbeln. In seinem Rücken das Büro des Geschäfstführers. Ihm gegenüber saß die Chefsekretärin. In ihrem Rücken das Büro von Sinalco mit Durchgangstür zum Finanz- und Verwaltungschef. Ruud bediente zwei Telefone. Seine Kollegin sogar drei. Leute abwimmeln Tätigkeit Nr. 1. Und wenn der jeweils andere nicht im Raum war, dann wurde mir Raute (#) das jeweilige Gespräch vom anderen Aparat angenommen. An einem Tag sollte er einmal über 100 x Gespräche angenommen, selbst geführt oder weitergeleitet haben.

Eine der ersten Aufgaben von Ruud waren Fachmagazine sichten und sortieren. Und Ordner wälzen und sich mit deren Inhalt über die diversen Logistikstandorte auseinandersetzen.

„Verschaff Dir mal einen Überblick“ hatte Sinalco gesagt. Das machte Ruud.

„Was machen Sie denn da?!“ fragte der Verwaltungschef. „Einen Überblick verschaffen. Hat Sinalco gesagt!“ verriet Ruud.

„Hm hm! Puh!“ kommentierte der Verwaltungschef und verschwand in der Teeküche um sich einen Kaffee zu holen. Das beherrschte Ruud dann auch wieder aus dem Eff-Eff, da er nämlich zusammen mit der Chefsekretärin auch für das Vorbereiten von Besprechungen und der Gästebewirtung zuständig war. Und für das Bearbeiten der Tagespost, die morgens auf dem Tresen gestapelt, geöffnet, sortiert und getagesstempelt wurde. Zwischendurch kam die Stadttour und holte Orderchecks ab, die später zu den Banken gebracht werden mussten, damit das Geld verbucht werden konnte.

In die Zeit der Eingangspostbearbeitung fiel auch meistens der Arbeitsbeginn des Geschäftsführers, der dann auch schon bald sein zweites Frühstück einnehmen musste, ehe es mit den ersten Terminen oder Besprechungen los ging. War man zu zweit, konnte man sich das gut teilen. Mit der Zeit spielten Ruud und seine Kollegin sich recht gut ein. Waren sie aufgrund von Urlaub allerdings alleine, hatten beide schonmal hektische Zeiten.

Kein Tag war wie der andere. Zumindest nicht komplett. Und Ruud wusste manchmal nicht, was noch so alles passieren würde. Zum Beispiel, als Sinalco sich für einen Karriereschritt entschied, und das Unternehmen auf eigenen Wunsch nach vielen Jahren verließ. Ruud hatte das nicht kommen sehen. Aber sein Arbeitsplatz fiel nicht weg. Mittlerweile war er auch für den Verwaltungschef und weiteren Prokuristen tätig. Schreiben aufsetzen, Statistiken erstellen, recherchieren, Unterlagen und Meetings vorbereiten. Eine richtige Stellenbezeichnung gab es nicht und wurde auch nie thematisiert. Zumindest nicht offiziell.

Deswegen antwortete er auch meistens auf die Frage, „Was er da machen würde?“, er würde den ganzen Tag aus dem Fenster gucken und rote Autos zählen. Ein anderes Mal wurden im Rahmen einer großen Geburtstagsfeier alle answesenden Gäste vorgestellt und erläutert, in welcher Verbindung sie zu dem Geburtstagskind stehen würden. Als dann der Tisch mit den Arbeitskollegen an der Reihe war, gab es „Bereichsleiter, Prokuristen, Mitglieder der Geschäfstleitung, die Chefsekretärin und Ruud. Ja was macht eigentlich Ruud? Der ist bei uns für die gute Laune zuständig!“

Gelächter. Funktionierte scheinbar sogar nur durch reine Anwesenheit. Toll.

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