Kannenschütteln & Butter Cookies

Nachdem er die Kinder in die Schule und Kita gebracht hatte, schenkte er sich in bewährter Reihenfolge einen Kaffee ein.

Er begann mit drei kleinen Holzlöffelchen Zucker. Dazu kippte er einen Fingerbreit fettarme kalte H-Milch. Und zuletzt kam der frisch aufgebrühte Filterkaffee darauf. Er stellte den grifflosen Becher auf den Buche farbenen Küchentisch, kramte in der Besteckschublade, fischte einen Teelöffel heraus, legte diesen neben seinen Becher und setzte sich auf den knarzenden grünen Strebenstuhl von 1976.

Er betrachtete den Löffel. Der Griff war viel dünner als die anderen aus Industriestahl geschmiedeten Teile des Bestecks, das er sich damals in doppelter Ausführung für seinen ersten eigenen Hausstand bei Amazon bestellt hatte. „Lieber mehr besitzen, als zu oft abwaschen zu müssen“ war die Idee dahinter. Und: Vielleicht käme ja auch mal Besuch vorbei.

Er nahm den Löffel in die Hand und betrachtet ihn. Wo kommst Du Umrühr- und Esshilfe her? Was hat Dich hierher geführt? Wer hat Dich geschickt?

Er tauchte ihn in den Becher und rührte das koffeinhaltige Kaffee-Zucker-Milchgemisch um. Sechs mal. Klimper, klimper, klimper, klimper, klimper, klimper.

Dann klopfte er drei mal auf den Becherrand – klimper, klimper, klimper – um den vorletzten Kaffeetropfen abzuschütteln und nahm den Löffel in den Mund, um den letzten Kaffeetropfen verschwinden zu lassen. Er legte ihn auf den Tisch und nahm einen ersten Schluck Kaffee. Mmmh. Lecker.

Wo kommst Du her? Wo kommst Du her?

Plötzlich fiel es ihm ein. Na klar. Sie kannten sich von der Arbeit. Er hatte ihn und seine Kumpels unzählige Mal in den Händen gehalten.

Beim Ausräumen aus der Besteckschublade. Beim Eindecken der Besprechungsräume. Beim Abräumen der Besprechungsräume. Beim Einräumen in die Geschirrspülmaschine. Beim Ausräumen aus der Geschirrspülmaschine und beim Einräumen in die Besteckschublade. Scheinbar hatte er einen versehentlich in seine Arbeitstasche geräumt, da er ihm so vertraut vor kam. Oder, er tat ihm Leid und wollte ihn in eine bessere Welt entführen.

Das musste aber locker schon über zehn Jahre her sein.

Er überlegte. Es waren in den sieben Jahren im Bereich Assistenz der Geschäftsleitung viele Löffel durch seine Finger gegangen. Durch die seiner langjährigen Kollegin ja noch viele mehr. Und weißes achteckiges Geschirr aus der gehobenen Gastronomie. Kaffeetassen und Untertassen. Kleine Teller, die mit einer dunkelblauen Serviette ausgestattet wurden, um anschließend erlesene Kekse aus Bahlsens Selection und Danish Butter Cookies aus der Blechdose darauf zu drapieren.

Dazu gab es kleine Träger, die Platz für ein Milchkännchen und eine Zuckerdose hatten. Auch achteckig. In diese Zuckerdose, wurde einer dieser Löffelfreunde gesteckt. Bei Besprechungen bis zu sechs Personen reichten zwei dieser Träger. Bei größerer Anzahl guckte man, das immer vier Personen Zugriff auf einen Träger hatten.

Dazu Minimum eine Kanne Kaffee (reichte für 8 Tassen) aus der verchromten eckigen Thermoskanne, die fein säuberlich mit einem Lederlappen von Streifen befreit wurde, nachdem man sie vorher ausgespült und die Kaffeereste von der Gießlippe entfernt hatte. Tee wurde in der runden verchromten Thermoskanne von Alfi serviert. Ebenfalls ohne Streifen. Blaue Servietten fungierten als Untersetzer um Tee- und oder Kaffeeränder auf dem Tisch zu vermeiden. Dazu ein Süßstoffspender. Und eine Kanne Milford Früchtetee. Für den Geschäftsführer.

Natürlich gab es auch Getränkeinseln mit VILSA-Mineralwasser aus Glasflaschen und Granini-Fruchtsäften der Sorten Apfel, Orange und Kirsche.

Wichtig dabei: MHD beachten und durchschütteln. Pro Teilnehmer stand ein Glas bereit. Selbstverständlich ohne Wasser- oder Kalkflecken. Umgedreht auf einer ausgebreiteten firmenralfarbenen blauen Serviette.

War man alleine oder aufgrund von anderen nicht zu verschiebenden Tätigkeiten nicht rechtzeitig fertig geworden, den Besprechungsraum für die adhoc einberufene Besprechung vorzubereiten, kam es zur Königsdisziplin:

Eindecken bei laufender Besprechung.

Die Tür in den Flur wurde mit einem Holzkeil offen gehalten. Dann mit Tablett und dem Geschirr – klimper klimper – Richtung Besprechungsraum. Mit dem Ellenbogen wurde die Türklinke betätigt, mit Schulter und Rücken die Tür aufgedrückt und den peinlich berührten und zur Hilfe aufspringenden Teilnehmern lächelnd und klimpernd ausgewichen, um das Tablett – klimper, klimper – auf dem Tisch abstellen und danach – ganz leise – jedem Teilnehmer ein Tassengedeck mit Löffel von rechts vor den Panzt Platz schieben zu können. Bloß nicht klimpern. Im aller schlimmsten Fall musste man den hilflosen Anzugträgern auch noch beim Einschenken helfen. Auch dabei: bloß nicht klimpern oder kleckern. Und auch nicht zittern. Trinken konnten sie in der Regel zum Glück alleine. Anschließend wurde erleichtert, geräusch- und geruchslos aus dem Raum diffundiert.

Manchmal wurden für lange Besprechungen belegte Brötchen bestellt. Diese wurden auf großen achteckigen Tellern mit blauen Servietten sortiert und zusammen mit kleinen achteckigen Tellern und blauen Servietten bereitgestellt.

In Besprechungspausen stand sowas wie eine Inspektion an. Die geöffnete Tür signalisierte: Raucher- und Pipipause. Wir gehen rein.

Im Raum waberte eine Mischung aus Kaffee, Leder, diversen Parfums und Brainstorming. Dann lief alles wie einstudiert ab: Fenster öffnen, Tisch wischen, die Zuckerspuren vom Keksteller zum Platz des Geschäftsführers beseitigen, die Kannen schütteln und checken, wie viel neuer Kaffee benötigt würde. Keksteller optimieren, Milchkannen- & Zuckerdosenbestände prüfen und auffüllen. Ebenso die Getränke.

Die fleißigen und eingespielten Hände wuselten wie bei einem Boxenstopp von Michael Schumacher. In Rekordzeit wurde der Raum wieder flott gemacht und die wichtigen Herren konnten gut ausgestattet in die nächste Runde gehen. Nach Besprechungsende signalisierte die wieder offen stehende Tür: fertig. Zeit zum Abräumen.

All das, schoss ihm durch den Kopf. Und er erinnerte sich, warum er den Löffel mitnahm. Dieser Löffel sollte ihm eine Mahnung sein. Eine Mahnung, so etwas niemals mehr in einem beruflichen Kontext machen zu müssen.

Klimper, klimper.

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