Aus der Reihe: „Außergewöhnliche Berufe – Interview im Liegerad“
Heute: Berufsbettler.
Der Liegeradfahrer spricht heute mit Rigobert, 43, aus Bremen. Rigobert ist selbstständiger Berufsbettler und sitzt an verschiedenen Hotspots in der Bremer Innenstadt.
Liegeradfahrer: Rigobert, skizzieren Sie doch einmal einen typischen Arbeitstag.
Berufsbettler: Gern. Ich stehe morgens um halb acht auf, checke die sozialen Netzwerke, spiele ein paar Runden Quizduell gegen Arbeitskollegen, und schaue auf Bild.de um mich für mögliche spätere Gespräche auf den neuesten Stand zu bringen.
Dann frühstücke ich eine Kleinigkeit, mache mich fertig und fahre mit dem Bus um 09.00h aus Schwachhausen Richtung Innenstadt.
Die meisten Geschäfte machen erst um halb zehn auf, da ist in der Stadt noch nicht so viel los. Die Bänker und anderen Büroheinis die dann durch die Stadt hetzen, sind morgens eh noch nicht so in Geberlaune.
Dann Platz suchen, Schale hinstellen und warten was kommt. Viele Gespräche, ab und an wird man beschimpft. Viel Kaffee trinken und jede Menge essen.
Gerade vor Weihnachten. Ich mache nach Silvester immer einen Monat Heilfasten und nehme Personaltrainer-Stunden. Man muss ja fit bleiben. Ich habe natürlich auch immer ein Buch dabei, für den Fall das mal Leerlauf ist-oder für die Mittagspause. Ich mache dann meistens um 1830h Schluss.
LRF: Mittagspause?
BB: Klar. Das ist ja ganz normale Arbeit. Da muss ich auch Pause machen. Sonst würde die Stadt Ärger kriegen.
LRF: Die Stadt?
BB: Ja. Ich bin zwar selbstständig, arbeite aber auch im Auftrag für die Stadt.
LRF: Wie passt das zusammen?
BB: Das war mal eine Kampagne. Bremen wollte für die Touristen den Charme einer Großstadt erwecken und hat uns Berufsbettler ins Boot geholt. Wir sind Teil des Stadtbilds und dürfen alle Einnahmen behalten.
Haben aber das Agreement, dass wir die Passanten nicht aktiv ansprechen dürfen. Die sollen sich ja schließlich nicht belästigt fühlen.
LRF: Aha. Das ist ja interessant. Ich dachte immer, dass das vom Gesetz her verboten sei?
BB: Nein. Das ist ein Irrtum.
LRF: Sind denn ALLE im Auftrag der Stadt unterwegs?
BB: Nein, nicht alle. Wie das immer so ist, gibt es die organisierten Trittbrett- fahrerbanden die von Stadt zu Stadt pilgern.
LRF: Was schätzen Sie an Ihrer Arbeit am meisten?
BB: Ich bin viel draußen an der frischen Luft, komme mit Menschen in Kontakt. Ich arbeite selbstständig und bin nicht auf andere Leute angewiesen (lacht).
LRF: Das ist ein Scherz?
BB: JA! Der ist gut, ne?
LRF: Ein Brüller. Wie sind Sie zu dem Beruf des Berufsbettlers gekommen?
BB: Na, das war, wie soll ich sagen, eher eine Schnapsidee.
Alles begann damit, dass ich früher in der Mittagspause – ich habe mal als kaufmännischer Angestellter in Innenstadtnähe gearbeitet – die ganzen „Bettler“ in der Fußgängerzone beobachtet habe.
Ich war anfangs ziemlich genervt, dass an jeder Ecke jemand war, der Hunger zu haben schien und Geld von mir wollte.
LRF: Haben Sie denn auch immer was gegeben?
BB: Nein. Für mich war das damals natürlich offensichtlich, dass das organisierte Banden sind, die von Stadt zu Stadt ziehen. Heute weiß ich, dass das, wie schon erwähnt, nicht auf alle zutrifft.
LRF: Was haben Sie stattdessen gemacht?
BB: So getan als würde ich sie nicht sehen und meinen Rollo weiter- gegessen.
Und mich geärgert, dass trotzdem Leute, besonders ältere Damen, etwas gegeben haben.
LRF: Warum geärgert?
BB: Na, weil mir die Omis Leid taten. Dass sie ihre Rente an die ganzen Bettler verteilen und selbst nichts mehr davon haben.
LRF: Tun Ihnen die Omis denn heute auch noch Leid?
BB: Nein.
LRF: Warum nicht?
BB: Sie machen es ja freiwillig. Ich zwinge Niemanden mir etwa zu geben. Es ist ja nur ein Angebot von mir. Und ich lebe jetzt davon.
LRF: Woher der Sinneswandel?
BB: Ich habe mich einmal in meinem alten Job krank gemeldet, mich „undercover“ in ein Innenstadt-Café gesetzt und mir das rege Treiben in der Fußgängerzone angeschaut.
Und da habe ich festgestellt, wie viele Leute bereit sind, Geld zu geben, Kaffee und/oder Wasser hinstellen oder nen Fischbrötchen vorbeibringen.
LRF: Und da dachten Sie: Das will ich auch?
BB: JA! Absolut. Ich habe mich gefragt: Wie geil wäre das bitte?
Du machst NICHTS, außer ein bisschen bedröppelt- freundlich gucken, den Leuten zunicken und Du wirst mit Getränken und Essen versorgt. Du bist satt und die Leute haben das Gefühl, dir geholfen zu haben. Nicht zu vergessen die Bäckereien und Food-Outlets – die profitieren natürlich auch von den Extraumsätzen.
Eine klassische Win-Win-Win- Situation. Streng genommen müsste ich eine prozentuale Umsatz- beteiligung einfordern.
LRF: Machen Sie aber nicht?
BB: Nein! Da hat mein Steuerberater mir von abgeraten. Ich laufe doch offiziell nur als Kleingewerbe.
Mit den Umsatzbeteiligungen käme ich locker über die Grenze von € 17.500.
LRF: Mmh. Allein das Auto mit dem Sie vorgefahren sind, kostet aber locker € 50.000.
BB: Ja, schon. Das ist aber nicht meins. Das habe ich mir von einem Kumpel
geliehen. Der sitzt gerade im Gefängnis.
LRF: Gefängnis?
BB: Ja. Irgendwas mit illegalen Kinofilmdownloads oder so. Dumm gelaufen.
LRF: Wo lernt man denn solche Kumpel kennen?
BB: Auf der Arbeit. Der hat sich mal zu mir gesetzt, wollte meine Geschichte hören. Wir haben uns gut verstanden, er gab mir € 1.000,- und die Nummer von seinem Steuerberater. Seitdem sind wir befreundet.
LRF: Setzen sich viele Leute zu Ihnen?
BB: Doch, schon. Das war auch einer der Gründe weshalb ich umgeschult habe.
Das ist total spannend, weil man so auch viele Lebensgeschichten anderer
Leute erfährt.
Ab und zu kommt eine Gruppe von Alzheimerpatienten vorbei, da kann es schonmal anstrengend werden so zu tun, als hätte man die Geschichte noch nie gehört. Ich spreche oftmals gedanklich mit oder führe die Sätze zu Ende. Dafür vergessen sie manchmal, dass sie Dir schon Geld gebeben haben …
LRF: Haben Sie darüber nachgedacht, die Geschichten in einem Buch zusammenzutragen?
BB: Ja. Besser gesagt: Habe ich das schon. Ich bin demnächst mit meinem Buch „Ich hungér habe-und schlechtes Magen“ bei 3 nach 9. Freue mich schon darauf mit U Did Rakers zu schäkern.
Gespräche über eine Amazonas-Serie mit Till Schweighöfer laufen auch schon. Scholz & Döhnermann wollen die Podcast-Rechte. Mehr darf ich aber nicht verraten.
LRF: Donnerwetter. Werden in dem Buch nur Geschichten der Leute verarbeitet?
BB: Nein. Das Buch fasst meinen ganzen Weg bisher zusammen. Ich will nicht zu weit vorgreifen, aber Themen sind beispielsweise, wie ich vorher verschiedene Betteltätigkeiten ausprobiert habe.
Vom Wackelbettler mit anschließ- endem Muskelkater und vorübergehenden Körperfehl- stellungen, bis hin zum Sandkünstler und den missratenen Figuren.
Alles ganz spannende Kapitel, zum Teil auch mit Grenzerfahrungen. Während meines Praktikums stand ich zum Beispiel kurz davor, mir Körperteile abtrennen zu lassen. Das hätte zwar mehr Einnahmen generiert, aber die Suche nach einer Krankenversicherung erschwert.
LRF: Da sind wir froh, dass es nicht so weit gekommen ist. Wir wünschen viel Erfolg für das Buch freuen uns auf ein Wiedersehen. Danke für das Gespräch.
BB: Ich habe zu danken.
(Wer wissen möchte, ob das stimmt, kann ja mal hier nachfragen)