Pling!
N. schielt am Monitor vorbei auf sein Smartphone. Ein neuer Beitrag in der „Comedy-Gruppe“ slidet in seine Timeline. Was steht da?
WALTER SERNER-PREIS. € 5.000,- (!!!) für eine satirische Kurzgeschichte … bis Sonntag.
Er blickt zum Kalender: SONNTAG?! Das ist in DREI Tagen! Wie soll das denn gehen?
Dahinter noch ein süffisanter Kommentar des S.:
„Ich selbst reiche nichts ein, ihr habt also eine Chance …“
N. schimpft:
„Ja ja ja, danke Meister. Nur weil Du einmal den Ephraim Kishon-Preis gewonnen hast …“
Oder meinte S. das scherzhaft? Als Witz. Als Ulk. Als Joke. Dass S. nicht mitmacht. Oder will S., dass N. denkt, dass S. nicht mitmacht, aber dann insgeheim doch mitmacht. S. hat bestimmt schon was eingereicht.
Vielleicht eine satirische Kurzgeschichte darüber, dass jemand in einer Comedy-Gruppe in einem sozialen Netzwerk lanciert, es gäbe einen Literaturwettbewerb, der nur noch drei Tage laufen würde, und man dort eine satirische Kurzgeschichte einreichen könne, die mit € 5.000,- Preisgeld belohnt würde. Der Lancier würde aber behaupten, nichts einzureichen, um die anderen zu ermutigen in ihren Notizbüchern zu kramen, da nur unveröffentlichtes Material zugelassen sei, wohlwissend dass er doch etwas eingereicht hätte – nämlichen den zuvor beschriebenen Plot. Und darüber würde er sich in seiner Kurzgeschichte lustig machen. Was für ein Freak. Hat beinahe schon James-Bond-Bösewicht-Niveau. Zuzutrauen wäre es ihm. Die Fantasie hätte er. Schließlich hat er schonmal einen Roman über einen Autor geschrieben, der einen Roman schreibt, in dem fast nur Gonzalos mitspielen.
N. kann den Christoph Waltz gewordenen Autor S. an der alten Contessa de Luxe Rot sitzen sehen. Er hört ihn mit jedem Anschlag exzentrischer und schallender lachen, ehe S. vor Extase vom Stuhl fällt um sich auf dem Boden liegend seinen Bauch zu halten.
„Muahahahahhahaaaaaaaaa! Diese Trottel! Glauben, ich würde da nicht mitmachen …. Muahahahahhhahahaa. Der Sieg ist mein, mein allein!“
Das würde S. sagen. Keine Zweifel. Das ist N. sich sicher:
„Dieser Schuft. Ist die Seite vom rbb echt? Existiert der Wettbewerb? Oder ist auch das Teil seines perfiden Plans? Es werden die Gewinner der letzten Jahre aufgeführt. Sogar mit ihren Gewinnergeschichten. Kann man das alles faken? Wer macht sich so einen Aufwand? In was für einen Strudel drohe ich zu geraten?“
N. wird komisch. Eigentlich sollte ihm doch jetzt satirisch werden? Ganz schnell. Bis Sonntag.
„Denk nach, denk nach, denk nach. Eine satirische Kurzgeschichte? Du hast doch so viel in petto. Was hatte der Lifecoach Kontra-K bei Insta noch gepostet?“
„Erfolg ist kein Glück!“
Verdammt. Es ist so simpel. Nur die Dummen haben Glück. Und dumm war N. nun wirklich nicht. Nein. Sein Biolehrer hatte sogar mal gesagt:
„N., Du bist so schlau wie zehn Dumme!“
Da haben die Mitschüler blöd geguckt. Also los, N., nutze Deine 10-fache Schlauheit, JETZT! Und am besten, solange sie noch da ist. TU ES. DU KANNST ES!
N. denkt nach:
„Also gut, also gut … satirisch, satirisch, satirisch … Wie wäre es mit einer Geschichte über den Schöpfer? Schöpfungsgeschichten sind witzig.“
Der Schöpfer erschöpft die Dinosaurier und verpasst dem gefährlichsten Räuber das größte Maul mit den schärfsten Zähnen. Da seine Mutter aber in der Schwangerschaft das falsche Schlafmittel genommen hat, bekommt er sehr kurze Arme.
Ha. Wenn das mal kein Knaller ist. Ist es. Kein Knaller. Das fällt schon unter Body-Blaming.
Mittlerweile gibt es für alles Namen. Body-Blaming. Name-Shaming. Stalking. Walking. Ghosting. Hosting. Modern Talking.
N. ist doch auch nur ein Opfer. Wie viele unbeantwortete E-Mails er schon bekommen hat, passt auf keine Vorhaut. Viele Nächte hat er sich um die Ohren geschlagen, um Unterzuhilfenahme von Lebenswasser Ideen an diverse Produktionsteams zu schicken. J. meldet sich nicht zurück. K. meldet sich nicht zurück. Loriot meldet sich nicht zurück. Na gut, der ist tot. Aber die anderen scheinen ihm aktuell noch sehr lebendig.
Zu allem Überfluss gab es gestern auch noch eine Absage vom Deutschen Cartoon Preis. Ja, Comics kann er scheinbar auch nicht.
E-Mail:
Sie gehören zu den 220 Künstlern die uns über 3.000 Cartoons eingesendet haben … (stimmt). Müll Müll Müll … Wahnsinn! … Preisträger … auf Buchmesse Frankfurt … blablabla … 287 haben es ins Buch BESTE BILDER 12 geschafft. Haha. Geil. Ach nee, Moment:
ES TUT UNS SEHR LEID, DASS IHRE CARTOONS DIESE JAHR NICHT… VIEL GLÜCK IM NÄCHSTEN JAHR!
Arschlöcher. Viel Glück im nächsten Jahr in N.‘s ass!
Das war nach der ausgebliebenen und fest eingeplanten fetten Gehaltserhöhung dieses Jahr, schon die zweite Enttäuschung innerhalb von 3 Wochen.
Dagegen war H.‘s Absage vor ein paar Monaten, ja regelrecht eine Zusage. Dem hatte N. einen potenziellen Mallorca-Hit geschickt. Einen Bumsschlager. Die Meerjungfrau aus Adäquatorial-Guniea. Fand er insgesamt aber zu schwach und zu explizit. Dafür gab es in der Antwortmail einen Tipp:
„Sei wie Glas, die Dich kaputt machen wollen, sollen sich an Dir schneiden!“
Das hängt seit dem Tag ausgedruckt und eingerahmt in N.‘s Dusche. Da ist er nämlich am kreativsten. Morgens. So wie jetzt.
N. fragt sich:
„Was hat H. damit gemeint? Das sind doch alles böhmische Dörfer. Böhmische Dörfer? Kam da nicht Walter Serner her? Aus Karlsbad?
Der könnte doch die leckeren Oblaten erfunden haben. Aus Versehen natürlich. Eigentlich arbeitete er an einer umweltfreundlichen und biologisch abbaubaren Alternative zur Schallplatte. Da er aber kein Lakritz zur Hand hatte, nahm er Mandeln und Haselnüsse. Et voila. Der Rest ist Geschichte.
Was für ein Quatsch. Reiß Dich zusammen. Du kannst doch nicht behaupten, dass Walter Serner die Karlsbader Oblaten erfunden hat. Alles nur wegen des Wettbewerbs? So es ihn gibt. Ein bisschen mehr Respekt, wenn ich bitten darf. Nach ihm wurde ein Preis benannt!
Es muss sich doch was finden lassen? Was gibt der Blog her? Nein, das gilt ja als veröffentlicht. Wobei, das liest doch keiner! Zeigt die Statistik.
Twitter? Ach nee. Nicht öffentlich. NICHT öffentlich. NICHT ÖFFENTLICH!“
N.‘s Magen zieht sich zusammen. Der Inhalt streckt die Hand nach dem Ding im Hals aus. Der kleine Zipfel der da runter hängt. Wie eine reife Birne am zu dünnen Ast. Oder eine Bowlingkugel am zu kleinen Finger. Oder ein zu großer Tropfen aus der zu kleinen Nase. Da wo sonst Sachen runterkommen. Nahrung. Fest und flüssig. Manchmal Fremdkörper. Aber die eher selten.
„Kille-kille-kille-kille!“
„Wer ist da?“
„Ich!“
„Wer?“
„Der Mageninhalt!“
„Was willst Du?“
„Durch.“
„Warum?“
„Ich brauche Luft!“
„Du brauchst ne Dusche!“
„Warum?!“
„Du stinkst!“
„Nein!“
„Doch!“
„Nein!“
„Doch!“
„NEIIIIIIIIIENNNNNN!“
„DOOOOOOOHOOOOOOCH!“
Stille.
„Ich brauche Luft!“
„Ja dann geh halt …“
„WWWWWWUUUUUUUUUÖÖÖÖÖÖÖÖÖÖÖÖRGH! FLATSCH!!!“
Was für ein Gewürge. N. ist sich sicher DAS findet doch keiner gut. Gibt keinen Preis. Keine Klicks. Nichts. Nur Magenschmerzen. So wie das eine Mal. Ja genau, DAS ist es. Genial.
Ein Gedicht:
Ausflug mit den Jungs.
Eik. Lars. Benni. Bernd.
43b mit Pommes.
Bombe. Bier 0,4.
Bauchiges Glas. Lecker.
Ouzo. Ouzo. Bombe.
Ouzo. Bombe. Ouzo.
Ouzo. Ouzo. Rechnung.
Ouzo. Sekt. Sekt. Ouzo.
Efcharisto(uzo). Tür.
Sauerstoff. Hammer. Kopf.
Besoffen.
Weiter. Weiter. American Diner.
Havana-Club. Obst gemopst.
Taxi. Tanzlokal. Taxi. Bett.
Zzzzzzzzzzzzz. Schnarch. Pups. Kratz. Gähn.
Licht. Hunger. Pizza. Aspirin.
Couch. TV. Vegetier.
Fleeeetz. Gähn. Dreh.
Kalt. Stirn. Fröstel.
Schwitz. Blass. Schwitz.
Magen. Dialog bekannt.
Wasser. Magen. Klo.
Brot. Magen. Klo.
Brühe. Magen. Klo.
Wasser. Magen. Klo.
Gedanken. Magen. Klo.
Tee. Magen. Bett.
Zzzzzzzzz. Schnarch. Pups.
Das N. von dieser schlimmen Erfahrung nochmal profitieren können könnte. Und die, die das lesen erst. Alles nur wegen eines Literaturwettbewerbs, den es hoffentlich gibt. Es gibt ihn doch? Oder?
Soll N. da mal anrufen? Bloß nicht. Dann wird er sofort weggecancelt. Oder in der Gruppe kommentieren? Um Gottes Willen. Das gönnt N. dem S. nicht. Oder soll N. S.‘s Spielchen mitspielen und es so aussehen lassen, als würde er einen Beitrag einreichen. Dann kann S. sich schön einen feixen, dass ihm augenscheinlich einer auf den Leim gegangen ist. N. würde aber keinen schicken. Und S. würde vor seinem Laptop sitzen. Sein Postfach aktualisieren. Erst stündlich. Dann minütlich. Später sekündlich. S. würde bei jedem Klick unwohler werden.
F5. Nichts.
F5. Nichts.
F5. Nichts.
F5. Newsletter für Mittel gegen Sodbrennen.
S.‘s Magen würde sich zusammenziehen. Mit jedem Klick würde er sich weiter zuschnüren, sich vorbereiten den Inhalt retour zu schicken. Auf das Fischgrätenparkett von seiner Berliner Altbauwohnung. S. würde schwitzen und frieren gleichzeitig. Schüttelfrost. Magenkrämpfe scheinen seinen Körper von innen auffressen zu wollen. Ja, regelrecht zu zerschneiden. Hatte H. das gemeint?
Mit jedem seiner F5-Anschläge würde N. lauter und fieser lachen.
„Hahaha. Muaahahhahahahhahahaaaaaa. MUAHAHAHAHAHHAHAAHAHAAAA!“
Damit N. nicht vom Stuhl fiele, läge er schon auf dem Boden.
N. würde S. austricksen. Und sich selbst einen feixen. Und darüber eine satirische Kurzgeschichte verfassen, die N. beim vom S. inszenierten Literaturpreis einreicht.
Das wäre eine Wendung, mit der S. nicht rechnen würde. Eine Mischung aus Schachnovelle trifft Einer flog über das Kuckucksnest. Das würde N. Christopher Nolan verkaufen. Seit Tennant scheint N. nichts mehr unmöglich.
S. liegt schwitzend und gekrümmt in einer Lache aus blutigem Mageninhalt. Auf dem Fischgrätparkett.
Pling!
Eine neue E-Mail. Er schielt mit letzter Kraft auf seinen Monitor.
S. stöhnt:
„Was steht da?!? Mein Beitrag zum Literaturpreis. VG N.?!“
„Trottel!“
F5
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Wieder nichts.
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