Am meisten sollte Ruud während seiner Zeit am firmen eigenen Hafengelände in Schlicktown lernen. Für vier bis Monate beherrschte die aus Ägypten importierte deutsche Pflanzkartoffel dort das Geschehen. Ruud sollte mit seinem anderen erfahren Kollegen Bert dafür Sorge tragen, dass sich meldende LKW zum richtigen Lager geschickt wurden, um die vorher von Kühlschiffen gelöschten Kartoffeln abzuholen. Die Kartoffeln wurden in 25kg-Säcken zu tausenden Paletten aus den riesigen Bäuchen der Kühlschiffe gehievt. Oder in den sogenannten „BigBags“. Nylonsäcke, die bis zu 1.250kg wogen. Teilweise als Direktverladung über mobile Rampen oder per Umfuhr zur Zwischenlagerung in riesige Lagerhallen. Tonnenweise rollten so die Erdäpfel durch Schlicktown.
In den Wochen und Tagen vor der Ankunft des ersten Schiffs, meldeten sich wie von Geisterhand diverse potentielle Arbeitskräfte, die sich in den Jahren davor am Hafen Ihren Lebensunterhalt verdienten. „100 Jahre Knast“ sagte Bert. Ruud schluckte. Glücklicherweise war die Tür zum Büro mit einer Sicherung versehen, die man von außen nur per Telefoncode entriegeln konnte.
Ein Subunternehmer kümmerte sich bis auf wenige Ausnahmen um deren Beschäftigung.
Die LKW wurden zuerst leer gewogen, dann zum Lager geschickt und anschließend wieder verwogen, um das tatsächlich Gewicht zu ermitteln. Tara (Paletten und Säcke ) wurden auf dem Lieferschein Pauschal veranschlagt.
Jedes Kilo kostete. Den Händler, wenn die LKW zu „leicht“ waren und den verantwortlichen Dödel der die Wiegenote unterschrieben hatte, wenn der LKW in eine Kontrolle käme und schwerer als der Toleranzbereich war.
Nicht selten hatte man die Händler sofort am Telefon, nachdem man Wiegenote und Lieferschein durchgefaxt hatte. Der Ton war alles andere als freundlich. Aber, Vorschrift ist Vorschrift. Ruf meinen Chef an. Und der Stand hinter einem. Ein Mal wurde ein Fahrer Ruud gegenüber patzig, der Chef bekam das mit, ließ sich den Auftraggeber nennen, zückte eines seiner Handys das noch nicht im Hafenbecken gelandet war – die Gerüchte halten sich hartnäckig, dass die Fische im Hafenbecken, sofern es welche gibt, bis heute noch die am besten vernetzten Fische sind – und rief den Händler an:
„Hör mal zu, einer Deiner Fahrer pampt hier meine Mitarbeiter an. Der soll das nicht nochmal machen, sonst kriegt der hier Hausverbot! (zum Fahrer gerichtet) „Wie heißt Du?“
„Schneiderpils!“ antwortete er. Ruud guckte auf das Anmeldeformular, und sah dass es nicht stimmte.
„Easy mein Freund, okay? Der Junge macht das gut!“ sagte er und verschwand.
Die Speditionen und Fahrer aus den Niederlanden waren da schmerzfrei. Dort gab es scheinbar andere Regularien: „Hee-hee, mach voll, Junge!“
Ab und zu brachten Bert und er die Fahrer dazu, die beim ersten Wiegen noch hochgeklappte Achse vom Auflieger runterzulassen.
„Die müssen wir auch mit wiegen, sonst passt das am Ende nicht …!“
Jeder von ihnen wurde je Woche für eine feste Schicht eingeteilt. Einer von morgens um 06 – 15 Uhr und der andere von 15 Uhr bis Open-End. In der Folgewoche wechselte es. Es gab eine kurze Schichtübergabe und dann war Ruud auf sich alleine gestellt. Nicht komplett. Zur Not wandte er sich an den Chef oder er rief ausnahmsweise den Kollegen an. Das war aber auch so abgesprochen. Ruud war vollwertige Arbeitskraft und bekam das größtmögliche Vertrauen ausgesprochen. „Ein schönes Gefühl“, dachte Ruud.