Die traurige Geschichte vom perfekten Glas Wasser

In seinen nun beinahe 15 Berufsjahren – Erfahrungen als Zeitungsjunge (4 Jahre), Sportartikelschülerfachverkäufer (2,5 Jahre), Vorzeige-Grundwehrdienstleistender (0,75 Jahre) und Lehrjahre-sind-keine-Herrenjahre-Azubi (2 Jahre) nicht eingerechnet – hat sich der schneidige Keyboardcowboy mit den Büropianistenfingern die ein oder andere Kernkompetenz angeeignet.

Angefangen bei dem Einstecken kostenloser Wochenzeitungen und Wochenendwerbungen (ja, liebe Kinder, das gab es) in jeden noch so ausgefallenen Designerbriefkasten, ohne sich die Finger zu klemmen. Oder in den sogenannten „katholischen Briefkasten“. Ein Durchsteckschlitz auf Knöchelhöhe in der Haustür, den man am besten erreichte, wenn man sich hinkniete. Ganz wichtig: die (kostenlose) Werbewurfsendung durfte nicht auch nur einen Fitzel raus gucken. Wehe sie wurde vom norddeutschen Regen geküsst oder gar in den Mund genommen, durchgekaut und zurück in den Briefkasten gespuckt.

Das hätte einen Anruf des verärgerten Empfängers beim Verlag nach sich gezogen. Genauso wie das zu frühe Verteilen der Aktionswerbung. Jawohl. Obwohl dezent und in großen Versalien auf den Analogen Ad’s „Gültig ab“ gedruckt wurde, sind Erna und Karl-Heinz noch am Samstag mit dem Mercedes in den Wal-Mart gefahren, um die ab Montag erhältlichen Angebote zu erwerben. „Wenn die Werbung da ist, der Laden geöffnet hat, dann können wir das Zeug da auch heute rausholen. Zieh Deinen Freizeitanzug an, den wir damals gekauft haben, als Du mit Wasser in den Knien in der Reha warst.“

Ein gekonnter Blick auf den Prospekt und den Kalender hätte unnötige Beschwerden vermieden und die Verluste unter den Prospektausträgern auf ein Minimum reduziert. Okay, die, die nur die Kohle kassiert und die zu verteilenden Druckwaren in den größten aller Briefkästen (den der Entsorgungsbetriebe) zugeführt haben, hatten den Tod zu Recht verdient. Sagten sogar die meisten Eltern.

In der Karriere des Sportartikelschülerfachverkäufers, die als Schulpraktikant begann, eignete sich der verpickelte Jugendliche in der viel zu großen Arbeitsklamotte – ein bordeauxroter Sweater mit Firmenprint – das „Aufbügeln an. Mit Panik in den Augen, und der Vorstellung, das Bügeleisen benutzen zu müssen, war er dann doch erleichtert, als es lediglich darum ging, verschiedenste Oberbekleidungen auf Kleiderbügel „aufzubügeln“ um sie auf Kleiderständern zu platzieren. Glück gehabt. Andernfalls wäre er wohl der Erste gewesen, der seine Mutter als Unterstützung mit zur Arbeit gebracht hätte. Wie peinlich.

Neben dem Aufbügeln perfektionierte er zusammen mit den anderen Aushilfen, von denen es in diesem Geschäft sehr viele gab, das Geschenkeverpacken. Besonders zu Weihnachten, als die zahlungswütige Kundschaft alles einpacken lies. Angefangen vom Fußball als „Bonbon“ (Klassiker) über das Skateboard bis hin zum 120cm-Trampolin und aufgebautem Crosstrainer (!!! #wtf). Aber, auch da galt schon: „Kunde ist König“. Und „Mit „Nein“ verkaufen wir nicht!“

Was konnte er noch gut? 20 x Paar Schuhe aus dem Schuhlager zum Probieren holen um dann hinterher den Sinneswandel des Kunden, „der Sohn brauche eigentlich keine neuen Schuhe“ mit einem Lächeln zu kommentieren. Ach ja, und Krankheitsgeschichten ertragen. Beim Verkaufsgespräch über den leichten Freizeitanzug für den Verwandten im Krankenhaus. Die Range ging von Wasser in den Knien, neue Hüfte, Bandscheibenvorfall oder gar Schussverletzung. Schussverletzung? JA. Eine Familienfehde im Gastronomiebereich. Umtausch wenn er nicht passt? Klar, alles was Du willst (Kunde ist König).

Bei der Firma Krieg und Frieden lernte das smarte Babyface schnell, dass es „Jawohl Herr …“ heißt, dass Wände auch von alleine stünden und nicht von ihm mit der Schulter gestützt werden müssten, dass man sich als einziger Abiturient unter den anderen Idioten Grundauszubildenden nicht zu erkennen gibt und den Fachabiturienten die „Sonderaufgaben“ überlässt. Neben dem korrekten Benutzen und Reinigen von Schusswaffen und dem Erkennen von „feindlichen Morsezeichen“ (hoffentlich darf er das überhaupt erwähnen) und dem korrekten Verzehr von Getränken aus Kopfbedeckungen (…) lehrte ihn die 5 monatige Grundausbildung folgendes: bei der Essensausgabe in der Feldküche ruhig auch die Lebensmittel mitnehmen, die man nicht mag, aber einem zustehen. Sie würden sich nämlich unter Kameraden perfekt als Tauschobjekt für andere Dinge eignen. Und falls es sich nicht eintauschen ließe: Selbst essen. In der Not frisst der Teufel ja bekanntlich auch Fliegen. Zumindest bei der Luftwaffe.

Nach dem erfolgten Wiedereintritt in das zivile Leben eignete sich der ehemalige Büromustang-in-Ausbildung weitere attestierte Kernkompetenzen an.

Neben:

„Deine Kopien waren bisher immer die besten“

„Du machst das immer so toll wie Du die Telefonnummer weitergibst“

„Das geht?“ (Bilderimport von Handy auf PC)

sollte ihn nachfolgende Begegnung nachhaltig prägen:

Der damalige Geschäftsführer bekam Besuch einer Selfnamed-Weltmännischen-Selfmade-Geschäftsfrau, der es mit ihrer stoisch-subtilen amerikanisierten freundlichen Art gelang, einen Termin im knappen Zeitplan zu erhaschen.

Der Büroheini war damals u. a. für die gute Laune, das Frühlingsquarksonnenblumenkernschwarzbrot und die Bewirtung von Gästen verantwortlich. So wie auch an diesem Tag, als Frau von Zoff zusammen mit ihrem Sohn Herrn von Buhmann vorstellig wurde. Frau von Zoff war eine etwa 75-jährige Dame mit Gehstock und dem Auftreten der Queen Mum, die von ihrem leicht adipösen Enkel mit Specknacken und ohne Hals im Konfirmatenanzug und Einstecktuch ins Sekretariat begleitet wurde.

Während der Begrüßung stellte sich der hoch ausgebildete Stullenschmierer als Herr vom Schreibtisch vor und bot danach edlen Kaffee von gestern an. Während des Smalltalks erwähnte er, dass aus Kindern von heute, die Stars von morgen würden. Beim Einkaufen nähme er auch immer nur die Ware von oben und von vorne.

Sein Opa sei auch adelig gewesen. Ein von damals. Die Nachbarn seien von nebenan, von gegenüber und von schräg gegenüber. Alles ginge von alleine. Seine Freundin nähme er nur von hinten, sie sei schließlich nicht von schlechten Eltern.

Das sei auch nur von Vorteil, und überhaupt nicht von Nachteil, aber auch nicht weiter von Belang. Er ginge auch oft zu Tisch. Er sei nie zu groß, eher zu klein und manchmal auch zu schön um wahr zu sein. Die Hüfte zu schmal, zu breit, die Hose zu eng, der Weg zu weit …

Frau von und zu riss ihn aus seinem Monolog; „Michel“-hier ist unsere Visitenkarte, die gibst Du dann gleich dem Onkel da drinnen“ (Analogie kleines Kind beim Kinderkarussel).

Nachdem der Herr vom Schreibtisch der Queen-Mum ein Glas Wasser darreicht, adelt sie ihn mit den Worten: „Oh, das machen Sie aber perfekt!“

Danach schulte er auf Barkeeper um, schenkte Tag für Tag, Jahr um Jahr das „perfekte Wasser“ ein und wurde aufgrund der Corona-Pandemie arbeitslos.

Sad.

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